Flucht aus den Hochhäusern
Kirche auf dem Campingplatz in
Freudenstein: Menschen suchen in Wirtschaftskrise nach festem Halt
KNITTLINGEN. Den einfachen Familien geht das Urlaubsgeld aus. Das
Wochenende auf dem Campingplatz in Freudenstein muss bei vielen die
Ferien ersetzen. „Die Kirche ist hier sehr gefordert“, sagt Diakon
Friedemann Heinritz.
Gestern
nahmen mehr als 100 Menschen am Gottesdienst auf der Stromberg-Anlage
teil, auf der derzeit mehr als 1100 Gäste ihren Urlaub machen.
„Die
meisten Camper sind aus den Hochhäusern in Karlsruhe, Pforzheim,.
Stuttgart
oder Ludwigsburg geflüchtet“, meinte Diakon Heinritz aus Marbach,
der
mit seinem siebenköpfigen Team bereits zum vierten Mal für
die
württembergische Kirche auf dem Stromberg-Campingplatz bei
Knittlingen
den Urlaubern hilft. Der 29-jährige Seelsorger ist gefordert. Er
muss
Beichtvater sein, Eheberater und Kinderpsychologe. „Hier sind die
Menschen aus den Ballungsräumen, wo die Kirche nicht mehr mitten
im
Dorf steht“, erläuterte Heinritz seine Rolle.
Jugend forderte Totenandacht
In
den vergangenen Tagen hatte das Kirchenteam alle Hände voll damit
zu
tun, die Trauer der Freunde um einen getöteten Dauercamper zu
gestalten. Ein junger Mann war bei einem Verkehrsunfall im Landkreis
Ludwigsburg ums Leben gekommen. „Die Bekannten des Jugendlichen vom
Campingplatz standen nachts vor meinem Wohnwagen und forderten für
ihn
eine kirchliche Totenandacht ein“, schilderte der Diakon die Szene.
Wenige
Stunden später versammelten sich mehr als 50 Camper um den
Kirchenmann,
um des verunglückten Caravan-Nachbarn zu gedenken. „Die Menschen
suchen
nach einem festen Halt in ihrem Leben. Die heutige Beliebigkeit macht
vielen zu schaffen“, unterstrich Helferin Jutta Kugel aus Wildberg, die
nach 20 Jahren erstmals wieder im Team der „Kirche unterwegs“ mitmachte.
Das
Credo der Wohnwagen-Theologen: Die Kirche muss dort gegenwärtig
sein,
wo die Menschen hingehen. Die Familien scheuten immer mehr die
kostspielige Anreise über Stunden im Auto zu einem Urlaubsort mit
hohen
Preisen. Außerdem gehören laut Kirche deutsche
Campingplätze wie in
Knittli! ngen sog
ar im europäischen Vergleich bei den Gebühren zu den
preisgünstigsten
Anlagen.
Viele
Kurzurlauber und Wochenendcamper mit Dauerstellplatz suchen laut Kirche
in Freudenstein die „Spontaneität des Campingplatzes“, wo die
Kinder
ohne Aufsicht herumtollen könnten und die Eltern keinem
Kleiderzwang
unterlägen. Die Betreiber der versteckt zwischen Diefenbach und
Freudenstein gelegenen Anlage hatten 2001 die Kirche um die Entsendung
des Teams gebeten und werden in den Reiseführern dafür
deutschlandweit
mit einem Prädikat gewürdigt.
PZ-Artikel wurde erstellt von: Horst Pieper am 15.08.2005.