Auf dem Weg zur Faschingshochburg

Im MT-Interview: Dr. Faust alias Marcus Müller, Symbolfigur der Knittlinger Narrenzunft Weissachtal

Knittlingen - Bühnenfigur, Alchimist, Arzt, Zauberer: Den berühmtesten Sohn der Stadt Knittlingen kurz zu beschreiben, fällt nicht leicht. Nun tritt Dr. Faust, über den Vornamen streiten die Gelehrten, in einer neuen Rolle auf. Als Symbolfigur des Knittlinger Karnevalsvereins Narrenzunft Weissachtal tritt er seit dem Jahr 2000 an die Stelle des etatmäßigen Faschingsprinzen. Zu diesem erstaunlichen Karrieresprung stand der Magier dem Mühlacker Tagblatt Rede und Antwort. Stimme und Gestalt lieh ihm dabei Marcus Müller, der Schriftführer des Vereins.

MT:
Dr. Faust, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Sie sind nicht mehr der Allerjüngste und wohl auch nicht mehr ganz taufrisch. Wie kommt es, dass gerade Sie als Symbolfigur in die Rolle des knackigen Faschingsprinzen geschlüpft sind?

Dr. Faust: Gut, ich habe vielleicht länger nichts mehr von mir hören lassen, aber zum alten Eisen gehöre ich noch lange nicht, vor allem, wo ich vor einigen Jahren eine neue, spannende Aufgabe gefunden habe: Ich repräsentiere die Narrenzunft Weissachtal  2000. Im Gegensatz zu anderen Vereinen haben wir keine Faschingsprinzen und keine Faschinsprinzessinen. Wir haben dafür eine Symbolfigur - das bin ich -, die als Repräsentant der Narrenzunft die Aufgaben eines Faschingsprinzen übernimmt.

MT: Was sind die Vorteile einer solchen prinzenfreien Regelung?

Dr. Faust: Das ist als Hommage an die Fauststadt Knittlingen zu verstehen.
Übrigens habe ich inzwischen Verstärkung aus "meiner" Zeit in Form von historischen Häs-Trägern bekommen. Dadurch hat die Narrenzunft Weissachtal das ganze Jahr über die Möglichkeit, auch an historischen Umzügen, zum Beispiel dem Brettener Peter-und-Paul-Fest, und Veranstaltungen wie dem Maulbronner Klosterfest teilzunehmen.

MT: Wie haben die Vereine der näheren Umgebung ihr "Prinzenproblem" gelöst?

Dr. Faust: Das ist eigentlich eine Frage, die ich so einfach  nicht beantworten kann. Allwissend bin ich ja leider nicht. Andere Vereine haben ebefalls eine Symbolfigur und andere suchen sich jedes Jahr neue Paare. Da kann es aber auch mal vorkommen, dass es kein neues Prinzenpaar gibt. Nur einen neue Prinzessin oder auch mal nichts von beidem. Wieder andere Vereine haben nie ein Prinzenpaar.

MT:
Wenn Ihnen schon keine Prinzessin zur Seite steht, wer begleitet sie dann?

Dr. Faust: Gretchen und der Teufel Mephistopheles. Bereits in der ersten Kampagne wurde aus meiner Freundin die Figur Gretchens geschaffen. Als Pendant dazu wurde auch gleich Mephistopheles erweckt. Durch den Mitgliederzuwachs des Vereins stellte sich zudem die Frage, mit welchem Häs (Faschingstracht) man in Zukunft an den Umzügen teilnehmen wird. Eine Anregung erhielten wir im Jahr 2004 durch die Möglichkeit der Teilnahme am Fauststadtumzug als historische Gruppe. Und schon begann die Planungen, und die ersten Häs wurden gekauft.

MT: Seit dem 11.11. wurde Ihnen schon einiges an Kondition abverlangt. Geben Sie uns doch einmal einen Einblick in Ihren Terminkalender! Welche Veranstaltungen haben Sie hinter sich, was liegt noch an?

Dr. Faust: Das würde zu weit führen, Ihnen alle Auftritte aufzulisten. Nur so viel: Die Kampagne 2004/2005 begann bereits am 6. November beim Ordensball in Birkenfeld-Gräfenhausen. Im alten Jahr folgten sieben weitere Einsätze. Im Januar waren wir beispielsweise beim Rathaussturm mit Hexentaufe in Oberderdingen dabei. Heute treffen Sie mich beim Umzug der Carneval-Gesellschaft Heilbronn an, morgen geht es weiter nach Murr, am Dienstag nach Stuttgart ...

MT: Was fasziniert Sie als kühlen Wissenschaftler an der Narretei?

Dr. Faust: Von Neidern wurde ich, Dr. Faust, ja schon immer als Scharlatan dargestellt. Aus diesem Grund habe ich mit entschieden, neben meinen wissenschaftlichen Tätigkeiten auch das Brauchtum zu pflegen und mich in dieser Zeit gemeinsam mit anderen Narren zu vergnügen.

MT: Sie als berühmtester Knittlinger haben sich affenbar mit dem Narren-Virus infiziert. Trotzdem ist Ihre Heimatstadt noch keine Faschingshochburg, oder?

Dr. Faust: Leider noch nicht, aber das kommt noch, mit der Gründung der Historischen Gruppe konnten wir schon wieder Vereinszuwachs verbuchen und das auch  schon im neuen Jahr. In der Planung steht auch eine Tanzgarde, aber leider haben wir noch keinen Trainingsraum gefunden. Aber ich bin da sehr optimistisch.

MT:  Wie überzeugen Sie jene Mitbürger, die mit dem närrischen Treiben partout nichts anfangen können?

Dr. Faust: Durch langfristige Überzeugungsarbeit. Wenn das Wort Fasching oder Karneval fällt, denken viele nur an die Faschingssendungen und Rosenmontagsumzüge, die im Fernsehen zu sehen sind. Nur wenige kennen die Übertragungen in den Dritten Fernsehprogrammen, wo die Umzüge aus den verschiedenen Faschingshochburgen übertragen werden. Wir informieren die Mitbürger vor allem mit Berichten im Knittlinger Amtsblatt und mit Broschüren über die Pfege des Brauchtums und die Historie der Fauststadt Knittlingen. Ebenfalls bieten wir Interessenten die Möglichkeit, in der restlichen Kampagnenzeit das Brauchtum aktiv mit zu erleben. Hierbei möchte ich vor allem die Möglichkeit nennen, als aktiver Teilnehmer, in diesen Fällen als Gast, bei den Umzügen in Heilbronn, Murr oder Stuttgart das Brauchtum einmal nicht vom Strßenrand, sondern als Umzugsteilnehmer zu erleben.

MT: Haben Sie mit Ressentiments zu kämpfen? Schließlich könnte man, streng genommen, viele Faschingsbräuche als Reste heidnischer Rituale deuten...

Dr. Faust: Das ist im Prinzip richtig, aber da die Trauchtumspflege mittlerweile im Vordergrund steht, hat das nichts mehr mit heidnischen Ritualen zu tun.

MT: Noch ist Ihre Narrenzunft ein junger, verhältnismäßig kleiner Verein. Welches närrische Potential könne Sie ausschöpfen, um weiter zu wachsen? Sind es die jungen Leute, die zu Ihnen kommen, die Einheimischen, die Zugereisten?

Dr. Faust: Potential sehe ich reichlich, zum Peispiel die Gründung einer Tanzgrade und die Erweiterung der Häsgruppe. Jedoch ist bei den Einheimischen der Fasching noch ein wenig in Verruf, da die Allgemeinheit über unsere Arbeit immer noch zu wenig informiert ist.

MT: Wirft das eine oder andere Vereinsmitglied ab und zu einen sehnsüchtigen oder neidischen Blick aus der Faschings-Diaspora in Richtugn Rhein und Main?

Dr. Faust: Nein, eigentlich nicht, da wir anders Fasching feiern als die Vereine im Rheinland.

MT: Gibt es dort etwas abzuschauen oder entwickeln Sie hier eine ganz eigene Art, die tollen Tage zu feiern?

Dr. Faust: Wie schon gesagt, das Brauchtum ist von Ort zu Ort verschieden, bei uns ist eher noch ein Hauch von der Schwäbisch-Alemannischen Fasnacht zu spüren.

MT: Nicht alles, was im Augenblick in der Welt geschieht, regt zum Feiern an. Können Sie in der fünften Jahrezeit auf Knopfdruck fröhlich sein?

Dr. Faust: Nein, das ist wirklich nicht immer schön, weg zu gehen und sich zu amüsieren, wenn anderswo wieder etwas passiert ist. Dieses Jahr ist die Flut in Südostasien ein großes Thema bei den Veranstaltungen. Dort wird fleißig gesammelt und auch große Geldbeträge gespendet. Da geht auch von uns einiges Geld mit.

MT: Am Aschermittwoch ist dann wieder alles vorbei. Wie verbringen Sie persönlich die Zeit bis zur nächsten närrischen Kampagne?

Dr. Faust: Am Aschermittwoch ist der Fasching zwar vorbei, aber das Vereinsleben der Narrenzunft geht weiter mit Sommerfesten, historischen Umzügen, dem Monatsstammtisch. Ein bisschen Freizeit, um sich zu erholen, ist aber auch nicht schlecht. Dann geht man mit Freunden in Stammkneipe oder bleibt einfach mal zu Hause. Vor allem dient jedoch die Zeit, wie bei anderen Vereinen auch, zur Planung und Vorbereitungen der nächsten Kampagne sowie zur Pflege der Kontakte zu befeundeten Vereinen.

Die Fragen stellte Carolin Becker.


ZUR PERSON: Dr. Faust
Der  historische Faust, Johann(es) oder auch Georg Friedrich, wird 1480 in Knittlingen geboren. er ist Zeitgenosse Luthers und wird als Gaukler und Gelehrter, Quacksalber und Arzt berühmt. Faust ist ein viel beachteter Unterhaltungskünstler und fasziniert das einfach Volk, aber auch gebildete Leute. Schon zu Lebzeiten Fausts setzt die Sagenbildung ein. Um 1540 soll er bei einer Explosion in Staufen ums Leben gekommen sein.

Unsterblich machten Faust die Literaten, die sich mit seinem Leben befassten. Eine Renaissance erlebt der geheinmisumwitterte Gelehrte aber auch in jüngster Zeit durch seinen Aufstieg zur tragenden Figur im Knittlinger Fasching. cb


ZUR PERSON: Marcus Müller
Seit Gründung der Narrenzunft Weissachtal im Jahr 2000 leiht der heute 27-Jährige dem berühmtesten Sohn der Stadt Knittlingen, Dr. Faust, Stimme und Gestalt. Außerdem ist Müller Schriftführer des mittlerweile auf rund  20 Mitglieder angewachsenen Vereins. Von Kindesbeinen an ist Marcus Müller, der Sohn des Präsidenten des Knittlinger Karnevalsvereins, mit dem Fasching groß geworden.

Im weniger närrischen Leben arbeitet der Wahl-Illinger Marcus Müller als Lagerist und Staplerfahrer bei einer Knittlinger Getränkehandlung. Die Hobbys Sportschießen und Schwimmen müssen in der fünften Jahreszeit hinter den Vereinspflichten zurückstehen. cb


Der Mühlack-Tagblatt-Artikel wurde erstellt von Carolin Becker am 05.02.2005.


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