Emigrant blieb treuer Freund
Literatur-Treff des Faustarchivs in Knittlingen stellt Zuckmayer-Report über Deutschlands Kultur in der Nachkriegszeit vor


KNITTLINGEN.Eine ungewöhnliche Rarität haben die 40 Gäste des Literatur-Treffs im Faustmuseum in Knittlingen gehört. Der US-Kulturoffizier Carl Zuckmayer machte Ende 1946 den Deutschen Mut zum Wiederaufbau.

Mit einem Radiointerview Zuckmayers ein Jahr nach Kriegsende mit dem Rundfunk in der Schweiz führte Dozent Gunther Nickel von der Universität Mainz die Zuhörer in die Thematik ein. Der Erfolgsdramatiker, dessen Theaterstück "Der Hauptmann von Köpenick" noch heute zu den Klassikern der deutschen Bühnen zählt, war nach Kriegsende ziviler Kulturoffizier der amerikanischen Streitkräfte geworden und in dieser Funktion fünf Monate durch Deutschland und Österreich gereist. Der von ihm für das US-Kriegsministerium geschriebene Deutschland-Report war bisher als geheim eingestuft worden.

Doch die beiden Forscher Nickel, zugleich Lektor des Deutschen Literaturfonds in Darmstadt, und die Frankfurter Geschichts-Doktorandin Johanna Schrön hatten den 100 Seiten zählenden Bericht des Schriftstellers lesen und analysieren können. Außerdem konnten sie auf einen umfangreichen Schriftwechsel Carl Zuckmayers mit seiner Ehefrau zurückgreifen.

"Es besteht ein großer geistiger Hunger in Deutschland. Trotz kalter Wohnungen und zu wenig zu essen wird aber überall an jedem Abend Theater aufgeführt", sagte US-Kulturoffizier Zuckmayer in diesem Interview in der Nachkriegs-Schweiz. In Zürich war sein Stück "Des Teufels General" erstmals aufgeführt worden. Damit alle Literaturfreunde im Raum die historische Tonaufnahme verstehen konnten, hielt Nickel minutenlang seinen Laptop über seinen Kopf in die Höhe und drehte dessen Lautsprecher in Richtung Publikum. Die Veranstaltung im Faust-Archiv lieferte viele neue Informationen. "Deutschland ist des NS-Staates überdrüsssig", schrieb er aus Berlin seiner Ehefrau nach New York. Außerdem besuchte er bei seinen Zugfahrten durch Deutschland ebenso Mainz und Stuttgart sowie Wien in Österreich. "Er schwankte zwischen Euphorie und Resignation", resümierte Nickel vor der K! nittling er Runde.

Immerhin konnte Zuckmayer miterleben, wie die Vereinigten Staaten mit der Rede des damaligen US-Außenministers James Burns Ende 1946 in Stuttgart einen radikalen Kurswechsel ankündigten. So nahm Burns Abstand von einer Bestrafung des besetzten Deutschlands und kündigte angesichts des beginnenden Kalten Krieges mit dem kommunistisch geprägten Ostblock wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen im Rahmen des Marshall-Planes an, um ein "stabiles und produktives Deutschland" zu schaffen.

Zuckmayer musste sich hingegen für seine angebliche Helferrolle gegenüber dem hungernden Nachkriegs-Deutschland vor allem vor anderen deutschen Schriftsteller-Emigranten immer wieder rechtfertigen. Schließlich gab er die Rolle als Kulturoffizier auf, sah sich mit seinem Wunsch nach einem "kulturellen Wiederaufbau" (Cultural Reconstruction) in Deutschland auch im Widerspruch zu seinen Auftraggebern. Diese Positionen wurden mit viel Sachkunde von Nickel und Schrön vorgetragen. Dafür gab es lebhaften Applaus.

Artikel wurde erstellt von: Horst Pieper am 01.03.2005.


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