Zeitzeuge verlor Familie im Ghetto
Jüdischer Gast in der Faust-Schule in Knittlingen: Junge mit blondem Haar hatte den unbändigen Willen zum Überleben

KNITTLINGEN. Der 76-jährige Zvi Kalisher gehört der jüdischen Kultusgemeinde an. Als Überlebender des Nazi-Holocausts berichtete er gestern an der Johannes-Faust-Schule in Knittlingen über sein Leben und sein Überleben.

Für die Schüler der Klasse 9 b war die Begegnung gestern in Knittlingen eine Konfrontation mit einer von Tod und vielen Leidenserfahrungen geprägten Lebensgeschichte. Wenn Zvi Kalisher über sein Leben berichtet, ist das mit einem Roman zu vergleichen, dem ein persönlich erlebtes Drama zu Grunde liegt. Aber es ist kein Roman und auch kein Drehbuch, sondern es sind Erinnerungen an eine erlebte Realität.

„Sag nie, dass du ein Jude bist und sei stark“, das waren die letzten Worte, die ihm seine Mutter auf den Weg mitgegeben hatte. Blaue Augen und blonde Haare habe er gehabt, als sie ihn in ein Kinderheim gegeben habe. Danach hat er sie nicht mehr gesehen, auch nicht seine drei Geschwister. Das Leiden im Warschauer Ghetto haben sie nicht überlebt.

„Mein Leben war immer auf der Spitze des Messers“, gab der Zeitzeuge zu verstehen. Sachlich, gefasst, ohne Vorwürfe und nicht von Trauer dominiert. Eine positive Aura umgibt den Mann, der Bilder aus dem Warschauer Ghetto zeigte, auf denen Menschen nur noch aus Haut und Knochen bestehend zu sehen sind, die ihr letztes Geld einem Mann der Gestapo geben, „um eine Kugel zu bekommen“. Zvi Kalisher beschrieb dies gestern in Knittlingen als die „Eifersucht auf die, die schon tot waren“. Sein Instinkt, „um die eigene Existenz zu kämpfen“, habe ihm beim Überleben sehr geholfen. Dabei machte er auch bei der Hitlerjugend mit, hat Gemüse, Kartoffeln bei Bauern oder Wertsachen bei Gestapo-Angehörigen geklaut. „Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen. Für den heute in Jerusalem lebenden Zvi Kalisher war dies ein besonderer Grund, um über seine persönlichen Holocaust-Erlebnisse zu erzählen. Zwei Wochen lang ist er derzeit mit seiner Frau Naomi in ganz Deutschland unterwegs. „Sehr harte Erlebnisse“, „interessant zu hören“, „schlimm was da passiert i! st“, war en die Aussagen der Schülerinnen Leila Gremmelmeier und Carolin Dieterle nach den Erzählungen des polnischen Gastes. „Hinter sich lassen, aber auch damit beschäftigen“. Ein Resümee, das die Schüler Matthias Funke, Niko Kancic und Felix Vogelbacher nach den zwei Schulstunden gezogen haben. Der Besuch von Zvi Kalisher wurde durch Anette Plapp aus Knittlingen ermöglicht. 1999 war sie in Jerusalem und arbeitete dort als Krankenschwester. Dabei entstand der Kontakt zu Zvi Kalisher. Für den stellvertretenden Schulleiter, Reinhold Hartmann, war dies eine wichtige Ergänzung zum Lehrplan und zur Auseinandersetzung mit den Folgen des Dritten Reiches. Er kündigte gestern bereits eine weitere Veranstaltung an. So ist ein Vortrag des Journalisten Edmund Brill geplant.

PZ-Artikel wurde erstellt von: Volker Henkel am 04.05.2005.


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