Zehnjähriges Mädchen
nachts im Campingwagen festgehalten?
71-jähriger Mann
wegen Freiheitsberaubung angeklagt
Knittlingen-Freudenstein
(to). Mit einem brisanten Fall beschäftigte
sich das Pforzheimer Schöffengericht in einem
ersten Verhandlungstag zehn Stunden lang: Die
zehnjährige Julia (alle Namen
geändert) verbringt Ende August mit ihrem
Vater Ferientage auf dem Stromberg-Campingplatz
in Freudenstein. Nachts geht sie auf die Toilette
des Platzes. Auf dem Rückweg versperrt ihr ein
Mann den Weg, packt sie und zerrt sie zu seinem Wohnwagen.
Dort schubst er sie ins Bett und deckt sie zu. Danach
geht er in das Zelt vor seinem Wohnwagen. Die
Zehnjährige schläft ein und wird erst
am nächsten Morgen geweckt, als sie
draußen Stimmen hört, die ihren Namen
rufen.
Was in der Nacht auf den 26. August auf dem Campingplatz
passiert ist, versuchte das Schöffengericht
durch die Aussagen von 18 Zeugen zu klären.
Wenig zur Aufhellung des Falles trug der 71-Jährige
Angeklagte Erwin G. selbst bei, dem das Gericht
Freiheitsberaubung vorwirft. Er ließ
über Verteidiger Alexander Knecht
erklären, dass er die Tat bestreitet und
sonst nichts zu den Vorwürfen sagt. Dabei
gab es viele offene Fragen: Waren die nackten Füße,
die Erwin G. in seinem Bett gesehen haben will, wirklich
die der 59-jährigen Campingplatz-Bewohnerin,
die ihm Avancen machte? Und legte er bewusst eine
falsche Fährte, als er nachts um zwei Uhr
seine Frau anrief, um ihr von der „Frau in
seinem Bett“ zu erzählen?
Nachdem das Mädchen am nächsten Morgen
wohlbehalten gefunden worden war, wurde der
71-Jährige von der Polizei vernommen und
verbrachte zwei Monate in Untersuchungshaft in
Stammheim. Der Sachverständige Hartmut
Pleines, der Erwin G. untersuchte, sagte, der
Angeklagte sei zwar nicht pädophil, stellte
beim Angeklagten jedoch „pädophile Nebenströmungen“
fest.
Der Beschuldigte sei seit 50 Jahren verheiratet,
habe allerdings auch eine sexuelle Beziehung zu seiner
damals 14-jährigen Tochter gehabt. Außerdem
stand er wegen sexuellen Missbrauchs seines
Enkels vor Gericht, das Verfahren wurde jedoch
gegen eine Geldauflage eingestellt. Sein
Schwiegersohn hatte ihn daraufhin aus dem Haus
geworfen, danach lebte Erwin G. im Wohnwagen.
Staatsanwalt Holger Schmitt beantragte eine Freiheitsstrafe
von einem Jahr und drei Monaten ohne Bewährung,
der Verteidiger Alexander Knecht plädierte auf
Freispruch, weil für ihn Zweifel bestehen,
ob die Geschichte nicht doch so war, wie sie der
Beschuldigte bei seiner Vernehmung geschildert
hatte. Hinzu komme, dass Julia bei der ersten
Vernehmung noch gesagt hatte, nie im Wohnwagen
des Beschuldigten gewesen zu sein.
Die Verhandlung wurde kurz vor der
Urteilsverkündung von Richter Karl-Michael
Walz aus einem formalrechtlichen Grund abgebrochen:
Wegen der vorgerückten Stunde war das Amtsgerichtsgebäude
während der Plädoyers verschlossen und
die Öffentlichkeit somit ausgeschlossen. Daher
werden die Plädoyers am heutigen Donnerstag
um 14.30 Uhr wiederholt und das Urteil verkündet.
BNN, 20.12.2007
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